Lektionen die uns die Kaschmiris lehren

1. Lektion: Bescheidenheit in Perfektion und Geschwindigkeit, erstens ist es anders und zweitens als man denkt. Wir sind in einem Land der extremsten Gegensätze. Jeder hat ein Handy, aber es gibt keine Schubkarren. Oder sie besitzen Computer vom Feinsten mit 6h Strom am Tag.
2. Lektion: Gelassenheit, damit ist der klassische Deutsche erstmal von Grund auf nicht ausgestattet. Alleine das Beschaffen von Werkzeugen und „passendem“ Material dauert. Hingegen, wenn man weiß, wo, bekommt man eine defekte Bohrmaschine, innerhalb von 5 Minuten, ein neues Bohrfutter für ganze 2 €. Es ist also eine Frage der Relation oder des Anspruchs. Das 2. Bohrer Kästchen, das wir kauften (eingeschweißt) enthielt auch nur krumme Bohrer. Dagegen beim Eisenwarenhändler um die Ecke, der alles andere als vertrauenswürdig aussah, erwarb Jürgen dann einen präzisen Eisenbohrer. Vorher hatte er sich, zu seiner großen Verzweiflung, 3 Stunden lang mit dem anderen Zeug herumgeärgert.
3. Lektion: Ständige Überprüfung der eigenen Erwartungen.
4. Lektion: Ohne Improvisationstalent ist man hier verloren. Die Fertigung der Küchen Theke, die recht hübsch geworden ist, und aus Kachelstücken hergestellt wurde, ist noch nicht vollständig abgeschlossen, weil wir erst vorgestern die nötigen Teile für den Abfluss finden konnten. Das Einkaufen in diesen Gemischtwaren- Handwerkerläden ist sehr speziell. Allein würde ich dort nie irgendetwas finden. Der Spruch: „wer Ordnung hält, ist zu faul zum Suchen“- oder „Das Genie beherrscht das Chaos“, kommt bestimmt aus Indien. Aber 3 von 5 Teilen bekommt man dann doch, (siehe Lektion 2: Gelassenheit), wo man dann die anderen zwei bekommt, weiß dann erstmal keiner - vielleicht links oder auch rechts, 2 Häuserblocks weiter. Ohne einen Ortskundigen mit minimalen Englischkenntnissen ist schlicht nichts machbar. Es gibt ja auch keine Straßennamen.
5. Lektion: Ohne Kontakte geht gar nichts. Als wir versuchten, einen Internetstick zu bekommen hieß es erst, dass das für Ausländer nur mit spezieller Genehmigung und Vorlage des Passes mit Kaschmir Wohnsitz etc. gehen würde. Dann kam ein entfernter Verwandter, der den richtigen Mann an der richtigen Stelle kennt und für ein bisschen mehr Geld, hatte wir innerhalb von 5 Minuten den gewünschten Stick. Immer von Nöten ist daher ein Mittelsmann, auch was den Preis angeht.
Selbst nach 30 Jahren Indien und der Beherrschung der Indischen Sprache, wird immer noch beim Gemüsehändler versucht, Carmen den Touristenpreis abzuknöpfen.
6. Lektion: Humor ist lebensnotwendig! Wer hier nach Indien geht und keinen Humor hat, hat wirklich keine Chance. Auch wenn Situationen nicht wie gewünscht ablaufen und der Ton durchaus energischer sein muss, braucht es danach unbedingt noch einen Tee und ein paar Witze, sonst fühlen sich die Leute hier vorgeführt. Denn der Inder an sich liebt es Storys zu erzählen, warum irgendwas nicht geklappt hat - die können hanebüchen sein.
7. Lektion: Regeln sind dafür da, nicht eingehalten zu werden. Das kann man am besten im Straßenverkehr sehen. Hier in dieser Millionenstadt gibt es 5 Ampeln, die auch gehen aber keiner hält sich dran. Ein Verkehrspolizist regelt den Verkehr und ist in der Menge von Fahrzeugen, die kreuz und quer stehen, nicht mehr zu erkennen. Das gilt aber auch auf der moralischen Ebene. Alkohol ist bei den Moslems untersagt, es gibt aber einen Alkoholladen, und dort gucken sie 3 mal nach rechts und links, gehen hinein und verstecken die überteuerte Flasche in einem Sack oder weiten Hosentaschen. Am Eingang sitzt sogar jemand, der extra Stoffbeutel dafür verkauft.
Zu diesem Thema gibt es unzählige Bsp.
8. Lektion: Hierarchie ist immer einzuhalten. Jürgen und ich kamen immer wieder in Situationen, in denen wir gesagt haben, „ach lass das doch den Helfer machen!“ Das ist außerhalb des Denkbaren, der Helfer hilft, der Maurer mauert. Oder der Ladeninhaber nimmt das Geld an, sonst keiner. Kleine Anekdote: als uns jmd. Glas zugeschnitten hat, wir es dann abgeholt haben, war aber der Ladenbesitzer nicht da. Jürgen hat es dann noch 4-5 mal versucht, dort zu bezahlen, aber keiner durfte das Geld annehmen: please come later! In der letzten Runde geschah das gleiche mit mir, ich habe dem Mann, der dort saß mit meinem nötigen Theatertalent erklärt, dass er das Geld jetzt nehmen muss, oder es gar nicht mehr bekommt- das hat geklappt.